Die Rückkehr zu den Familien - Ein Jahrzehnt später

Die Rückkehr zu den Familien - Ein Jahrzehnt später

mit einem Geleitwort von Manfred Achtenhagen und der Einführung von Katrin Volkmann
 
Porträts in neuer Heimat 2001/2011
Nach 10 Jahren begegnet der Neubrandenburger Fotograf Bernd Lasdin erneut Menschen und Familien, die nach dem Ende der DDR Mecklenburg-Vorpommern als neue Heimat gewählt haben.
In der Gegenüberstellung der Bilder und handschriftlichen Statements der Porträtierten verdichtet der Künstler ein Stück Lebenslauf und begleitet die »Rückkehrer« auf ihrer Suche nach einem neuen Zuhause. Ein faszinierender Einblick ins Private – mit viel Raum für Interpretation und Reflexion.
 
130 Abbildungen – gedruckt im Duoton-Verfahren
gebundene Ausgabe, Hardcover, 156 Seiten, 130 Fotos, begleitende Texte
Format: B 24cm x H 28cm
Erstauflage erschienen am 12. Dezember 2011



ISBN: 978-3-941803-07-7
          
24,95 €



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AUS DEM INHALT



ZUM GELEIT



Wie ist es ihnen ergangen, denen, die zurückgekommen sind, in das Land ihrer Vorväter, die oft im missgünstigen Umfeld neu starten mussten? Ist ihr Mut belohnt worden? Sind sie heute mit ihrer Umgebung verwachsen oder sind sie Exoten geblieben? Sind aus »Wessis« jetzt vielleicht »Wossis« geworden?



Die Antworten werden so verschieden sein, wie die Menschen, über die es hier zu berichten gilt. Es wird sich zeigen, dass es die am besten geschafft haben, die im Geiste ihrer Urväter an ihre Aufgabe herangegangen sind, die im allerbesten Pioniergeist diesem Land ein Stück seiner Identität zurückgegeben haben. Und zu dieser Identität gehören, jedenfalls im ländlichen Mecklenburg-Vorpommern, die vielen kleinen Gutsdörfer mit ihren Guts- und Herrenhäusern, den ehemaligen Patronatskirchen und den oft ebenfalls unter Denkmalschutz stehenden Wirtschaftsgebäuden und Gutsparks.

Nirgends in Deutschland, ja in ganz Europa, gibt es diese Fülle von Gutsdörfern, nirgends ist eine Kulturlandschaft so von ihnen geprägt. Diese zu erhalten und zu neuem Leben zu erwecken, war und ist eine der neuen Pionierleistungen, die vollbracht wurden oder noch werden.

Die meisten der erfolgreichen Rückkehrer sind zu Leuchttürmen in den sonst immer leerer werdenden ländlichen Regionen unseres Landes geworden. Wie einst die Lokatoren ziehen sie andere nach sich und gestalten gemeinsam mit diesen ein neues, wieder lebenswertes ländliches Umfeld. Sie haben – wie einst ihre Vorväter – wieder Verantwortung übernommen.



Das Schreckensbild der zurückkommenden Junker hat sich nicht bewahrheitet und war, wie so oft, reine Ideologie. Wie es ja auch schon immer unsinnig war, eine historische Klasse in Bausch und Bogen zu verdammen. »Immer besteht sie aus Menschen von Fleisch und Blut« meint Golo Mann, »die frei sind, sich über den Geist ihrer Klasse zu erheben oder von ihm abzufallen. Große Dichter, wie Heinrich von Kleist, waren Junker, tätige Idealisten und Pazifisten gar nicht junkerlichen Geistes kamen aus dem viel geschmähten Stand. Auch als Ganzes hat der ostelbische Adel seine Tugenden gehabt. Tugenden der Nüchternheit, der Frömmigkeit, der bescheidenen Sicherheit. Historische Macht ist nie ohne historische Schuld. Gönnen wir also den Junkern ihre Verdienste, wie wir ihnen ihre Schuld ankreiden.«



Möglicherweise gibt es unter denen, die zurückkehrten, auch einige, die Graf Schwerin von Schwanenfeld zustimmen würden, als er Ende der 1990er in Groß Kelle bei einer letzten Zusammenkunft der »alten Herren«, die vor 1945 noch selbst wirtschafteten, sagte: »Wir haben unser Land nicht erst 1945 verloren, sondern schon 1930 mit der Ablehnung der Weimarer Republik.« Der Rest ist Geschichte. Diese Geschichte hat 1989 noch einmal eine Tür geöffnet – für viele in Richtung Westen. Für die Pioniere jedoch in Richtung Osten – wie damals für ihre Vorfahren.



Manfred Achtenhagen

Dezember 2011





I



Beinahe wäre dieses Vorwort nicht geschrieben worden. Jedenfalls nicht von mir. Selten fiel mir ein Einstieg so schwer – obgleich ich mit dem Thema und den Menschen, die es mit Leben füllen, vertraut bin. Die 2001 erschienene Fotodokumentation »Die Rückkehr der Familien«, zu der mich Bernd Lasdin um ein Vorwort bat, spiegelte vor allem den unbedingten Wunsch der Protagonisten nach Heimat, nach Ankommen und Verwurzelung wider. Schlussfolgernd wagte ich damals zu glauben, dass die Entscheidung zurückzukehren niemals infrage gestellt werden würde.

Aber nun?

Ratlos stand ich im Kreis besuchter Familien, der inzwischen zwar durch familiären Nachwuchs erweitert worden war, aber unübersehbar die eine oder andere Delle aufwies. Was hatte ich erwartet? Besitzerstolz, geschwollene Brust und breites Grinsen! Zumindest Wiedersehensfreude. Eitelsonnenschein hätte mir die Sache sehr erleichtert. Wer hört sich schon gerne die Sorgen anderer Leute an? Kaum zu glauben, dass deren Uhren ticken sollten wie meine, wenn auch im kostbar geschnitzten Uhrenkasten. Schließlich saß ich zwischen von und zu! Nach mehreren Wochen des Schwadronierens war ich nahe daran aufzugeben.



Für meine Quengelei ersann ich Ausreden: Wie quetsche ich zehn Jahre angefülltes Leben auf zwei Textseiten? Außerdem: Die Begleitumstände meiner Besuche waren nicht die besten: Erntezeit 2011, in dem Jahr, das nur aus April bestand. Viele Güter leben von der Landwirtschaft, und die Hoffnung auf eine gute Ernte ersoff seit Wochen im Jahrhundertregen. Zudem drückte vielerorts noch immer der Schuh der Eigentums- bzw. Rückführungsfragen – und bürokratische Auseinandersetzungen rauben Kraft und Stunde.

Die Gespräche – Spiegel unserer Zeit: Einstecken müssen macht mürbe. Alltagssorgen, Lichtblicke, Erinnerungen – Jahre. Jahre, viel zu schnell vorüber, zwischendrin Leben, neues, altes, verlorenes, und beharrliche Selbstbefragung nach dem Sinn, Suche nach dem Machbaren, Ermahnung ans Durchhalten. Wofür? Für wen? Wie war das, als wir auszogen, des Vaters Erbe anzutreten? Endlich, endlich und diese Kraft! Was blieb von allem? Zehn, zwanzig Jahre danach. Ein Mühen ist es, ein Ringen jeden Tag.



Ich war verwirrt, gehemmt, ein bisschen ärgerlich und frustriert – desillusioniert.



Und doch, etwas bleibt.



II



Die wunderschöne Architektur des Hauses, mit seinem Salon und den hohen Fenstern zum Park hin, in dem ein junger Mann barfüßig mit dem Rasentraktor seine Runden dreht. Von dem Hausherren herzlich empfangen, registriere ich dessen etwas zu legeren Anputz, wie überhaupt alles um mich herum in die Jahre gekommen scheint. Aber die Ausstrahlung des Gastgebers: zeitgemäß, konzentriert, und sein Charme – äußerst wohlerzogen. Sein blaues Blut hindert ihn nicht daran, eine vergessene Kaffeetasse vom Tisch zu räumen. Er geht voran, mit der freien Hand auf ein Ahnenporträt verweisend, ein angenehmer Plauderer, reinweg uns zugewandt. Ich frage nach dem Gärtner: Der junge Graf, die neue Generation. »Dies alles doch für die, die nach uns kommen, so lebten es die Väter vor.«

Plötzlich sind fremde Leute im Vestibül, kaum ein Gruß ihrerseits, geschweige denn ein paar Dankesworte zum Willkommensein. Man schaut sich ungeniert um, hüpft die Marmorstufen auf und ab, schwenkt die Türen und fragt nach dem Klo. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn jedermann in meiner Küche Platz nähme, und sammele mich, um nicht aus der Haut zu fahren. Meine Nachfrage diesbezüglich wird von unserem Begleiter diplomatisch lächelnd beantwortet: »Wir führen ein offenes Haus und leben auch vom Publikum.« Nein, tauschen möchte ich nicht, Gräfin hin oder her.



Die Umstände bringen Menschen dazu, erfinderisch zu sein. In einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern, ohne nennenswerte Industrie, dafür mit reichlich Äckern und Seen ausgestattet, bedarf es mehr als einer weitreichenden Ahnentafel. Enthusiasmus und Einfallsreichtum sind gefragt, um Häuser und Güter dieser Größenordnung lebendig zu halten. Neben der klassischen Felderbewirtschaftung sichern Rinderzucht, Weinanbau und Gestüte den Grundbedarf. Doch kaum jemand kann sich ein Bild davon machen, wie viel Kraft und vor allem Gelder nötig sind, um die kulturhistorischen und für Mecklenburg-Vorpommern touristisch überaus wichtigen Guts- und Parkanlagen wenigstens in ihren Grundfesten zu erhalten. Längst gehören Ferienvermietungen, Kulturprogramme, Führungen und Festivitäten zum täglichen Geschäft. Und dies alles in den eigenen vier Wänden! Ein Leben in der und für die Öffentlichkeit. Ein Leben im goldenen Käfig sah ich nicht.



Heute, da die Endlichkeit des Aufbruchs feststeht und das Sehnen nach den heimatlichen Wurzeln gestillt ist, sehe ich mich Menschen gegenüber, die – der Entdeckerfreude nicht gänzlich entledigt – dem Alltag mit scharfem Verstand und Rechenstift zu Leibe rücken. Sie alle fanden zurück zu ihren familiären Wurzeln in einer wunderschönen, landschaftlich bezaubernden Gegend. Aber auch hier lebt es sich nicht von Luft und Liebe. Sie kamen aus Welten, in denen sie sich mit einem anderen Selbstverständnis bewegten; sie tauschten Vertrautes gegen Verpflichtung. Egal, was sie vorfanden, egal, worin sich jeder einzelne vom anderen unterscheidet: Sie müssen überleben, es muss sich rechnen. Das ist der Preis für »den Stempel, der ihm als Kind wie einem Pferd eingebrannt wurde: dein, unser, immer Zuhause.« (Lucy Bassewitz)



Das zählt, was bleibt: die Familie.



III



Für den Betrachter und Leser dieser Zeitdokumentation entwickelt sich bereits auf den ersten Buchseiten ein roter Faden, der sich durch 65 Lebensmodelle zieht: Unseren Kindern gehört die Zukunft, dafür leben und ringen wir. Dass sie einen besseren, sicheren Start haben mögen, dass sie der Großeltern Erbe achten, dass sie Tradition freudigen Herzens leben. Auch die Hoffnung bleibt nicht unerwähnt, dass die Nachfahren sich am Ländlichen erwärmen und die Zügel übernehmen. All die Entbehrungen, Schlachten, Enttäuschungen, die kleinen Schritte, die überschaubaren Erfolge werden aus einem Pflichtbewusstsein heraus in Kauf genommen, dessen Ursprung mitnichten in der Blaublütigkeit liegt. »Eine Verantwortung wohl, die mit Familienbindungen zu tun hat, mit sozialem Engagement, mit einem Werteverständnis, das keineswegs nur auf materielle Sicherheit abzielt. Es geht um das Zurruhekommen, um Pflichterfüllung, um Glaube und Tradition und, nicht zuletzt, um Heimkehr.« Dieser Satz aus dem Vorwort des ersten Bildbandes hat in zehn Jahren an Wahrheit und Dringlichkeit dazugewonnen. »Meinen Vorfahren verpflichtet«, beginnt der Bildtext von Francis Freiherr von Türkheim-Böhl, und weiterführend, Gudrun von Holtzendorff: »Möge es die nächste Generation so weitergeben.«



Die sehr privaten Bildunterschriften gestatten dennoch nur einen begrenzten Einblick ins Separee. Vor allem bezeugen sie Dankbarkeit. Eine Dankbarkeit dem Leben und seinen Möglichkeiten gegenüber. Sie ermahnen innezuhalten, Resümee zu ziehen, Stolz auf Erreichtes zuzulassen und auszudrücken. Die Lebensgeschichten dahinter sind vielgestaltig, lebhafter, angesammelt – wie Leben eben ist. Die fotografischen Gegenüberstellungen rücken Vergangenheit und Gegenwart eines Jahrzehnts zusammen und erzählen von Aufarbeitung, Kindererziehung, Tagesgeschäften und Sorgenfalten. Und von der Suche nach dem privaten Glück. Alltag nebenan. Zeitzeugnis, Unterhaltung, gelebte Jahre – authentisch, fühlbar, auch scharf, auch verzagt, humorvoll gewiss. Manchmal gezwungenermaßen. Denn das Leben ist nicht immer rosarot. Und jenes in einem großen, wenn auch Gutshaus, vielleicht seltener als andernorts. Aber mit einem Lächeln wird’s leichter, und mit dem Wissen darum, alles nach Kräften getan zu haben, »zu erwerben, um neu zu besitzen, was du von deinen Vätern ererbt hast«



Katrin Volkmann

Feldberger Seenlandschaft

im Jahr 2011



VITA DES AUTORS



BERND LASDIN

 

1951 geboren in Neubrandenburg
1968–1970 Fotografenlehre und Abitur
1972–1978 Foto- und Filmmitarbeiter beim SCN
1978–1988 Bildreporter bei der Tageszeitung »Freie Erde«
1979 Aufnahme in den Verband der Journalisten (VdJ-DDR)
1984–1987 Fernstudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Professor Arno Fischer
1987 Kandidat des Verbandes Bildender Künstler (VBK-DDR)
1988 Beginn der freiberuflichen Tätigkeit
1990 Mitglied des Verbandes Bildender Künstler (VBK-DDR), Bund der Fotografen
1991 Mitglied im Künstlerbund Mecklenburg und Vorpommern e. V. im BBK
1994 Stipendium der Stadt Neubrandenburg
1997 Reisestipendium des Landes Mecklenburg-Vorpommern (USA)
1995–2000 Lehrauftrag für Fotografie an der Fachhochschule Neubrandenburg
1999 Werkvertrag mit der Heinrich-Böll-Stiftung
2000 Arbeitsstipendium des Landes Mecklenburg-Vorpommern
2005 Auszeichnung zur Fotopersönlichkeit des Jahres 2005 zu den 7. Internationalen Fototagen in Mannheim-Ludwigshafen