Werner Schinko - Bilder des Nordens

Werner Schinko - Bilder des Nordens

mit Texten von Raimund Hoffmann, Werner Stockfisch, Konrad Reich, Helmut Sakowski, Horst Bartsch und Werner Schinko

»Der Norden wäre ärmer, gäbe es diesen Mann nicht«, schreibt Konrad Reich, der langjährige Hinstorff-Verleger 2009 in einem Essay über Werner Schinko, der im Nachkriegsjahr 1946, 16jährig an der Müritz strandet. Er geht von hier nach Berlin an die Kunsthochschule, kehrt nach Abschluß zurück nach Röbel, findet dort seine Heimat und vollendet hier das »Märchen seines Lebens«.

gebundene Ausgabe, Klappenbroschur, 232 Seiten, 240 Abbildungen, begleitende Texte

Format: B 22cm x H 30cm

Erstauflage erschienen im Juni 2011



ISBN: 978-3-941803-03-9
          
29,90 €



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Inhalt

Texte

 

Raimund Hoffmann

Einführung in Leben und Werk

Kindheit und Jugend 7

Neue Heimat Röbel und Studium in Berlin 22

Freiberuflich in Röbel 53

Im wiedervereinigten Deutschland 88

 

Werner Stockfisch

Das ganze Leben. Das Ganze leben 103

 

Werner Schinko

Gewitterangst 146

Aus einem Soldatenkoffer geplaudert 148

Mit dem Dampfer über die Müritz 150

Mein Buchumschlag für »Ole Bienkopp« 152

Über die Nützlichkeit des Zeichnens 154

Monatlich ein Leninbild 155

 

Konrad Reich

Sternstunden eines Verlegers 156

 

Helmut Sakowski

Meister seiner Zunft 158

 

Horst Bartsch

Werner Schinko 160

 

Werner Schinko – Vita 220

 

Bilderverzeichnis 223

 

Buchgrafik – Werkverzeichnis 228  

 

 

»Der Norden wäre ärmer, gäbe es diesen Mann nicht«

(Umschlag-Rückseite U4)

 

 

»Der Norden wäre ärmer, gäbe es diesen Mann nicht«, schreibt Konrad Reich, der langjährige Hinstorff-Verleger 2009 in einem Essay über Werner Schinko, der im Nachkriegsjahr 1946, 16jährig an der Müritz strandet. Er geht von hier nach Berlin an die Kunsthochschule, kehrt nach Abschluss zurück nach Röbel, findet dort seine Heimat und vollendet hier das »Märchen seines Lebens«.

 

 

Über den Menschen und Künstler Werner Schinko

(Klappentext vorne)

 

 »Mecklenburg ist meine Heimat geworden und mein Thema geblieben« Werner Schinko

 

Nur wenigen Künstlern ist es vergönnt, noch im hohen und höchsten Alter mit nahezu uneingeschränkter Energie ihrer Arbeit nachzugehen. Werner Schinko gehört zu ihnen. Die künstlerische Kraft, die ihn dabei treibt, lässt es nicht zu, sich einer selbst gestellten Aufgabe oder einem öffentlichen bzw. privaten Auftrag mit unterschiedlicher Intensität anzunehmen. Egal ob er ein minutiöses Städteposter zeichnet oder einen Druckstock bearbeitet, er ist stets ganz bei der Sache.

 

Werner Schinkos Kunst kann sich hierzulande einer breiten Popularität sicher sein. Seine Bilder sind nah bei den Menschen, weil er nah bei ihnen ist.

Seine Ausstellungen werden für die Besucher immer zu einem Ereignis, besonders wenn der Künstler zur Eröffnung erscheint. Schinko lässt es sich nicht nehmen, bei einer Vernissage unter seinem Publikum zu sein. Und die Leute kommen. Dann füllt sich der Raum mit einer Atmosphäre der Sympathie. Künstler und Publikum sind eins. Werner Schinko genießt solche Stimmungen. Und der Erfolg macht ihn glücklich und gibt Kraft für neue künstlerische Arbeiten. Raimund Hoffmann 2011

 

 

Werner Schinko- Vita

(Klappentext hinten)

 

Werner Schinko

 

1929 am 4. Oktober in Wurzelsdorf (Kořenov) geboren

1935 Besuch der Volksschule in Wurzelsdorf

1943 Studienbeginn an der Staatsfachschule für Schmuckindustrie in Gablonz (Jablonec n.N.)

1944 Kriegseinsatz in Wurzelsdorf

1945 zum Volkssturm eingezogen

1946 Umsiedlung nach Mecklenburg, Wohnsitz in Röbel/ Müritz

1950 Beginn des Studiums an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee

Wichtige Lehrer: Werner Klemke, Ernst Jazdzewski,

Ernst Rudolf Vogenauer

1954 Hochzeit mit Hildegard Pfeifer

1954 Diplomarbeit mit Illustrationen zu »Kein Hüsung«

von Fritz Reuter

1955 Diplom der Kunsthochschule Berlin-Weißensee

Freischaffend. Mitglied des Verbands Bildender Künstler der DDR

1959 erste Begegnung mit Konrad Reich, Hinstorff-Verleger

1960 Beginn der Zusammenarbeit mit dem Hinstorff Verlag

1962 erste Titelblattgestaltung für die Monatszeitschrift »Die Unterstufe«,

Verlag Volk und Wissen - mehr als 300 Titel folgen

1960er-Jahre

Beginn der Zusammenarbeit mit dem Kinderbuchverlag der DDR

Gestaltung und Illustrationen für viele Kinder- und Jugendbücher

1963 Zusammentreffen mit Erwin Strittmatter

Umschlaggestaltung des »Ole Bienkopp« (Aufbau Verlag)

1964 Bezug des Hauses am Weidehang am Stadtrand Röbels

1989 erster Studienaufenthalt in der Künstlerkolonie Worpswede

1990 Mitglied des Künstlerbundes Mecklenburg-Vorpommern e.V.

im Bundesverband Bildender Künstler.

1991 Replik der Barkenhoff-Fresken von H.Vogeler in Worpswede

1990er-Jahre

intensives Arbeiten in der Aquarelltechnik

1997 letzte Heftausgabe „Grundschulunterricht“

mit einem Titelbild von Werner Schinko

2003 Austritt aus dem Künstlerbund

 

Werke Werner Schinkos befinden sich in vielen Museen und Sammlungen sowie in Privatbesitz.

 

Das ganze Leben. Das Ganze leben

Werner Stockfisch

Wir trafen uns vor Gedrucktem. Er als Hand-Werker, ich im Bunde mit Maschinen. In der Wochenendbeilage meiner Zeitung gab es eine Rubrik »Mecklenburger Künstler und ihr Schaffen«, die sich über viele Jahre hinzog und auf Hunderten Atelierbesuchen beruhte. Als Werner Schinko an der Reihe war und einige seiner Zeichnungen im Blatt sah, schrieb er einen Brief an die Kulturredaktion, in welchem er anbot, den Titel der Reihe, dessen Typografie aus den fünfziger Jahren stammte, aufzufrischen. So geschah es. Fortan lief die Serie unter seiner Schriftzeile, die licht und leicht war und nicht mehr im Gegensatz zu den Lettern aus dem Setzkasten stand, sondern sich ihnen anpasste und dennoch ein eigenes Gesicht bewahrte. So blieb es, bis die Norddeutsche Zeitung nach dem politischen Umbruch zum Sterben gebracht wurde.

 

Da war der andere Werner längst mein Künstlerfreund geworden. Und Typografie ist noch immer eins unserer Themen, das sich trefflich an allerlei Drucksachen erörtern lässt. Wie viele Flyer (was ist das eigentlich? Flugblätter? im englischen Wörterbuch steht’s jedenfalls nicht) hat er allein für eigene Ausstellungen gestaltet! Wir lieben beide die klassizistischen Antiqua-Schriften, die Bodoni und die Walbaum, deren zeitlose Klarheit, wie mir scheint, zum Wesen dieses Künstlers gut passt.

Andere Zeichner, so zu Zeiten des Expressionismus, gingen und gehen mit Schrift eher eigenwillig, genialisch oder bewusst ungekonnt um, wollen damit zeigen, dass sie nicht Federfuchser, sondern Schöpfer sind. Es gefällt mir, dass Werner sich zu seiner gründlichen und umfassenden Ausbildung, die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegt, bekennt, denn sie erwies sich als tragfähig. Um noch bei der Schrift zu bleiben: Er hat dies höchste Exaktheit erfordernde Fach mit heißem Bemühen betrieben, und heute, da Schriften massenhaft im Computer stecken, schreibt er seine Buchstaben noch immer selbst, wenn diese ihm nicht lebendig genug erscheinen, oder er läuft in kleine Druckereien, um dort den Staub von alten Setzkästen zu pusten. Die Schrift soll ja »stehen«, wie der Grafikmensch sagt, das heißt, sie soll zum Ganzen der Bildseite, des Buchumschlags, des Plakats in einer harmonischen oder auch spannungsvollen Beziehung stehen.

 

Meister Schinko hat das Ganze des Produkts im Auge, an dem er arbeitet. Die Typografie eines Buches oder einer Drucksache ist ein Teil davon. Ich glaube, das ist ein Ethos, das ihn mit den Buchkünstlern vergangener Jahrhunderte verbindet. Ich weiß nicht, ob er das Buchmuseum Plantin-Moretus in Antwerpen kennt, ein Ort des Unesco-Welterbes, wo das Ganze des Büchermachens atmosphärisch erkennbar wird, wo große Drucker in einem Haus lebten und arbeiteten und das Buch als einen Kunstgegenstand von Inhalt und Form gestalteten.

 

In all den Jahren unserer Freundschaft bin ich einem Menschen begegnet, der in allem, was er tut und denkt, was er fühlt und sagt, auf ein Ganzes aus ist, immer bereit, aus der Enge in die Welt zu dringen, sei es zeichnend, sinnend oder lesend. 65 Jahre, nur einst unterbrochen durch das Studium an der Berliner Kunsthochschule, lebt er in seinem Städtchen an der Müritz, vergleichbar vielleicht mit Erwin Strittmatter in Schulzenhof im Märkischen, dessen Weltanschauung ihm nah ist und dessen Ole Bienkopp er 1963 mit einem Buchumschlag umhüllen durfte.

 

Ein Schriftsteller oder ein Künstler gerät ja leicht in den Ruch, provinziell oder bloß ein Heimatkünstler zu sein, wenn er seinen Lebensort abseits der großen Kulturzentren wählt und Jahrzehnte dort bleibt. So tat es der Dichter Hans Franck, der vierzig Jahre auf seinem Frankenhorst am Schweriner Ziegelsee lebte, und auch noch ein anderer Norddeutscher strafte den Verdacht der Enge Lügen: Ernst Barlach in Güstrow. Ich könnte es mit Laotse genug sein lassen: »Der Weise sitzt am Fenster und kennt die Welt«, aber so einfach ist es denn doch nicht. Zu Werner Schinkos Lebensprinzipien gehört die Dialektik von nah und fern. Alle Möglichkeiten ausschöpfend, ist er mit Frau Hilde immer wieder aufgebrochen, um andere Länder und Menschen kennenzulernen. Zu DDR-Zeiten in östliche Richtungen, vorwiegend ins Böhmische, dann weiter nach Westen und Süden, viele Kulturlandschaften Europas und des Vorderen Orients entdeckend. Ich sehe dies als verwirklichte Welt-Anschauung, ja als Lebensethos.

 

Welt ist überall. Auch an der Müritz. Und selbst hier, wo des Künstlers Zeichentisch steht, herrscht ein spannungsvolles Ineinander von Drinnen und Draußen. Er ist ausdauernd in seiner bunten Werkstatt mit dem großen Fenster in den Garten hinaus, wo er mit seinen Kindern, als sie klein waren, ein Baumhaus baute; andererseits hält es ihn dann doch nicht mehr in der Stube. Ich muss mit. Ein paar Kilometer von Röbel entfernt zeigt er mir die Ruine der Kirche von Dambeck, eines Feldsteinbaus aus dem 13. Jahrhundert, und er weiß Abenteuerliches vom einstigen Gutsherrn, das ihm ein alter Bauer erzählt hatte. Und als ich Werner im Sommer 1991 in Worpswede besuchte, wo er dabei war, große Teile der 1920 bis 1926 entstandenen Barkenhoff-Fresken Heinrich Vogelers mithilfe alter Abbildungen nachzuschaffen, hatte er die Umgebung längst erkundet und führte mich zu dem gewaltigen Niedersachsenstein von Bernhard Hoetger, einem expressionistischen Antikriegsdenkmal. Da hatte ich was zu staunen.

 

Das, was er vor sich hat, muss überwunden und auf seine Weise wiedergewonnen werden. Der Künstler vollzieht diesen Prozess im Symbol. Schinko sieht sich seit eh und je mit der Natur, dem Natürlichen und Naturhaften verbunden. Die Landschaft seiner Umgebung, die vielfach erkennbar und zugleich die norddeutsche schlechthin ist, hat er tausendfach gezeichnet, gemalt und gestaltet, doch zum Symbol für das Lebendige ist ihm der Vogel geworden.

 

Er zeichnet einen Vogel, der über ein Feld fliegt. Einfacher kann eine Bildidee kaum sein, es spricht aber daraus eine Stimme über die Existenz des Menschen: nachbarlich zu den Lebewesen, ob Mensch oder Tier, ehrfürchtig vor der Natur. Vögel sind in seinen Blättern Kunst-Zeichen der Freiheit und der Schutzbedürftigkeit zugleich. Es kehren da solche Krähen oder Raben oder Dohlen wieder, die er nicht mehr, am Fenster stehend, abzeichnen muss; er hat sie längst in der Hand, der sie entfliegen, indem er zeichnet. Sind Krähen auch Raben? Ich weiß es nicht. Ich glaube eher, diese schwarzen Gesellen sind zusammengezogen aus den Merkmalen verschiedener Arten. Es ist seine eigene Ornithologie, wie sie der Maler-Dichter Johannes Helm ausrief: »Seh ich Raben, ruf ich: Brüder.« Schinko zeigt uns die Vögel auch als grafische Zeichen, die er der Natur abgerungen hat, ein uralter Vorgang der Kultur, in der Vielheit eine Ordnung zu erzeugen. Nicht von ungefähr ist der Siebdruck Brauttanz der Kraniche eine von Schinkos erfolgreichsten Grafiken geworden.

 

Ein Künstler, der achtzig geworden ist, hat sich wohl das Recht erworben, auf ein Lebenswerk zurückzublicken. In einem großen Bogen in Tiefe und Breite legt es Zeugnis ab von einem ganzen Leben, aber auch davon, das jeweils Verlangte zu überschreiten, in jedem erfassten Einzelnen das Ganze zu leben. Er hat sich ausprobiert. An den Zeichentisch als an sein Lebenselement gebunden, beginnt er noch immer täglich neu. Vieles ist ihm gelungen, manches blieb ihm versagt, einiges steht in der Spannung von Gewolltem und Erreichtem. Er hat ein unverwechselbares Werk geschaffen. Schinkos Arbeiten erkennt man sogleich. Das ist doch …? Ja, das ist sein Kranich, sein Kirchturm, seine Reiseskizze, das ist sein Vogelzug über den mecklenburgischen Feldern.

 

Unser Meister der Zeichenstifte und Farbenpinsel ist der vielseitigste Künstler, den ich kenne, und in allem hat er, immer mit vollem Einsatz, höchst Achtbares geleistet – ob in freien Blättern, Bildfolgen in Mappen, Illustrationen, Buchgestaltung, Plakaten, Firmengrafik, ja auch in Wandbild und Steinschnitt. Er arbeitet mit der Feder, dem Bleistift, dem Pinsel, dem Messer, den heutigen Ink-Rollern, diesen Ball- und Needle-Points.

Bei allem ist seine Botschaft, das Lebendige zu lieben und darum zu schützen, deutlich erkennbar, und er bestätigt damit einmal mehr die Tatsache, dass ein Künstler verständlich und dennoch tief sein kann. Dies ist angesichts der verschlungenen Wege heutiger Kunstpraxis alles andere als selbstverständlich. Des Kaisers neue Kleider – das ist ein Märchen von Hans Christian Andersen, aber auch ein Holzschnitt von Werner Schinko. Das Gleichnis ist übertragbar.

 

Er – und mit ihm der Betrachter – ist sich dessen bewusst, dass er in einer Tradition steht. Werner Schinko hat sich abseits der großen deutschen Kunstzentren wie Berlin und München, Dresden, Leipzig und Düsseldorf einen festen und bleibenden Platz in der Geschichte der norddeutschen Zeichenkunst erworben. Und diese reiche Tradition ist für mich sogar mit einem Buch aus der Kindheit verbunden. Wilhelm Heys 1837 von Otto Speckter illustrierte Fabeln in Versen besitze ich noch immer und staune, wie der Hamburger Zeichner es gleichermaßen mit Katzen, Raben, Kindern hatte, – wenn auch erbaulich und damit anders als unser Mann in Röbel, aber eng mit der Arbeit am Buch verbunden – wie Schinko.

Zeichnend das künftige Buch im Kopf. Dieses ist dem Künstler ein Podium, auf dem er in die Weite wirkt, ja, auf dem er Geld verdienen kann, um sich und seine Familie durchzubringen. Der freie Künstler singt sein Lied auf einem freien Markt, auf dem – wir wissen es heute mehr denn je – die bunten Lichter angehen und ausgehen und der einen festen Grund nicht hat. Das Buch war darin oft ein sicherer Posten, ein Produkt der Vergegenständlichung und der Beständigkeit. Werner ist sich stets treu geblieben. In seinem Leben wie in seinem Werk herrscht Kontinuität. Fortentwicklungen sind bis heute festzustellen, aber aufregende Brüche haben nicht stattgefunden, auch nach der politischen Wende nicht. Es gab keinen Grund. Er ruht in sich selbst, was nicht bedeutet, dass er sich nicht aufzuregen weiß.

Diese Kontinuität hat sogar eine Leistung erbracht, die ins Guinness-Buch der Rekorde gehört. Das sind Schinkos Titelseiten für die Zeitschrift Die Unterstufe. Vom Januarheft 1962 bis zum Dezemberheft 1997 hat er ohne Unterbrechung pro Jahr zwölf oder elf Titelseiten (manchmal ein Doppelheft im Sommer) gezeichnet, mithin fast 400; das schaffte selbst Werner Klemkes Kater für Das Magazin nicht. Der langjährige Auftrag wurde zu einer Bewährungsprobe seiner Arbeit für Kinder. Die Titelseiten wurden im Unterricht als Erzählbilder eingesetzt; der Grafiker bekam viele Briefe. In Ausstellungen konnte er Entwürfe zu den Farbschnitten, Radierungen und Zinklithografien neben den in die Typografie der Hefte eingefügten Wiedergaben zeigen.

Die Unterstufe hieß im Untertitel Zeitschrift für sozialistische Bildung und Erziehung in den ersten vier Schuljahren, und das bedeutete, dass eine Zensur stattfand. »Manche gute Idee konnte nicht umgesetzt werden«, resümiert der Künstler heute, fügt aber hinzu: »Das Unterlaufen der ideologischen Vorgaben hatte einen unwiderstehlichen Reiz. Es gab da manche genussvolle Denkarbeit und gestalterische Herausforderung.«

Seit 1992 heißt die Zeitschrift Grundschulunterricht, fünf Jahre später schrieb der Titelseitenzeichner ein Abschiedswort, in welchem er anhand eines eklatanten Beispiels auf den damaligen Tanz mit den Zensoren hinwies, die sich schon durch satirische Goethe-Verse angegriffen fühlten. Da hockten Frösche in einer Reihe nebeneinander »und saßen am Ufer weit und breit und quakten wie vor alter Zeit«.

Das war im Mai 1976 und es ging der IX. Parteitag der SED über die Bühne. Ärger brach auf die Chefredakteurin nieder. 1997 wurden dem Künstler in seiner Nachbetrachtung die Sätze darüber gestrichen. Das machte ihn nachdenklich.

 

Ein großer Teich war zugefroren,

die Fröschlein, in der Tiefe verloren,

durften nicht ferner quaken noch springen,

versprachen sich aber, im halben Traum,

fänden sie nur da oben Raum,

wie Nachtigallen wollten sie singen.

Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz,

nun ruderten sie und landeten stolz

und saßen am Ufer weit und breit

und quakten wie vor alter Zeit.

Johann Wolfgang Goethe

 

Und dann seine Briefe. Ich habe sie alle aufbewahrt, dokumentieren sie doch, dass der Schreiber ein Zeichner, der Zeichner aber auch ein Schreiber ist, wie ja das griechische Verb graphein nichts anderes als schreiben bedeutet. Seine deutliche Schrift ist unverwechselbar und hat den Duktus des Gestaltens und in den Schriftzeilen stehen als witzige Einsprengsel kleine Bilder. Manchmal sind Zeichnungen wie geschrieben. Da kam eine Postkarte aus Piet’any in der Slowakei; die Niederschrift der vorgefundenen Ansicht geht der Mitteilung auf der Adressseite voraus: von links nach rechts vier Berge, ein Kirchlein, eine Burgruine, noch ein Kirchlein, dazwischen Bäume als gliedernde Kommas und als Akzente natürlich Vögel in der Luft.

Als Schweriner Fürstenfreunde 2004 die Umbenennung der Karl-Marx-Straße in Alexandrinenstraße, wie ehemals benannt nach der reaktionären Schwester Kaiser Wilhelms, durchsetzten, entwarf er eine Briefmarke mit dem Bildnis des verschmitzt dreinblickenden revolutionären Denkers und klebte sie gar auf ansonsten ausreichend frankierte Umschläge. Die Post stempelte munter drüber. Es gibt noch etliche andere Postwertzeichen aus seiner Feder.

Der Mann hat Humor. Was ist das eigentlich? Mein Psycho-Lexikon spricht von heiterer Lebenseinstellung – da wird, streng genommen, ein Wort nur durch ein ähnliches erklärt – und – da kommen wir einem Künstler schon näher – von einem Sammelbegriff für entsprechendes Ausdrucksmaterial. Man betrachte Schinkos Katzen. Er kennt sie und bildet sie nach Belieben als Träger von Expressionen ab. Selbst hat er jetzt keine mehr, denn wo sollten sie bleiben, wenn er mit Frau Hilde auf Reisen ist? Aber er hat sie so studiert, dass er ihnen nicht mehr mit dem Stift hinterherlaufen muss. Katzen, in ihren Merkmalen unverwechselbar, charakterisiert der Zeichner mit wenigen Strichen. Wilhelm Busch nahm sie in seinen Bildergeschichten gern als tückische Störenfriede; der französische Karikaturist Siné brachte sie auf eine knappe Formel, versah sie jedoch mit witzigen Attributen und Wortspielen; der Rostocker Armin Münch hat sie in seinen Skizzenbüchern als Raubtiere erfasst; bei Werner Schinko sind sie eher freundlich und in allerlei putzigen Situationen als Hausgenossen des Menschen dargestellt. Im Gegensatz zum Witz, der dem Intellekt Pointen liefert, kommt Humor aus dem Gemüt und wieder zu ihm hin. Das ist Schinkos Feld.

Unter meinen Kinderbüchern, die die Zeiten überdauert haben, ist mit abgegriffenen Pappseiten Der Ball der Tiere, eine bunte Bildergeschichte. Da beraten sie, wie das Fest ablaufen soll: »Was werden wir trinken, sangen die Finken. Ach, Tee, bat das Reh. Bier! brüllte der Stier. Bowle, wisperte die Dohle.« Und so weiter. Ich habe etliche weitere Verse gedichtet: »Nach Caffè con latte gierte eine Ratte. Vom Pilsner eine Molle, nuschelte die Scholle. Ich will Absinth, muhte das Rind.« Und so fort. Lieber Werner, wollen wir das Buch nicht neu machen? Wir verdienen dann ganz viel Geld. Nur einer fehlt noch: ein Verleger und Verkäufer.